Da denkt man an nichts
Veröffentlichtes, und dann das: Seh ich doch ein Nummernschild, auf dem ALA prangt.
Auch Werbeagenturen machen Werbung – für sich. Einige
werben mit gewonnenen Kreativ-Preisen, andere mit Effizienz-Auszeichnungen.
Wieder andere rühren auf ihre Art die Werbetrommel – im Internet, per E-Mail
oder klassisch per Aussendung.
In Zeiten ohne Internet und E-Mail (siehe BRAIN, DIE und FAX) war es der
große Bringer, Bücher zwecks Eigenwerbung und Selbstdarstellung zu verschicken.
So auch während meiner ersten Agenturstation in HH (siehe
PIC, FEE, MUT, BLB, VERD, SUM, LAP, PICK, INGA, KINO, ROCK, WO, CORD, OMG und RUM).
Jedes Jahr zum Agenturgeburtstag wurde ein gebundenes Buch gestaltet und an
bestehende wie potenzielle Kunden versandt. Zum elften Ehrentag durften,
sollten, mussten, konnten, besser: wurden Mitarbeiter aufgefordert, Artikel
fürs Agenturbuch zu schreiben.
Folgendes hatte ich verzapft – noch in alter
Rechtschreibung:
ALAbama.
Rein
ins Schiff, ab in den dritten Stock und im Empfang auf den CD aus Bremen
warten. Schöne und schönere Menschen – hauptsächlich Frauen – stolzieren
vorbei. Immer noch warten, aber immerhin mit Blick auf die Elbe. Die Gedanken
schwirren umher. Schon komisch, so’n erster Tag. Was passiert? Feuchte Hände, trockener
Mund, Füße schlafen ein. Wow, wie aufregend. Hier sitzt BaLaBe. Und ich kotz’
gleich in die Elbe.
Es ist
soweit: Die Tür geht auf, CD kommt rein, aufstehen, Diener machen, Füße sind
wieder unter den Lebenden. Und dann gibt’s auch noch Blumen. Noch nichts getan,
aber Blumen. Wow, so muß Werbung sein. Treppe runter, dreimal links und ab in
den extra geschaffenen Raum unter der Treppe, neben der Küche: mein
Arbeitsplatz. ’n bißchen ab vom Schuß, auch ruhig? Abwarten. Ich komm’ ins
Zimmer, und da sitzt sie: blonde lange Haare – oder besser: Mähne –,
strahlendes Gebiß, Sommersprossen. Doch da, was tut sie? Sie steht auf,
verdammt, was soll ich tun? Warum steht sie eigentlich auf? Stehen Frauen bei
der Begrüßung auf? Ist sie eine Frau? Oder vielleicht eine Drag Queen? Muß sie
aufs Klo? Verdammt, was soll ich tun? Die Gedanken schwirren wieder. Sie gibt
mir die Hand, trockene Hand. Ihr Blick verändert sich, verdüstert sich. Eine
innere Stimme sagt mir: „Gib ihr die Hand zurück.“ Okay, okay, ich geb’ nach und
ihr die Hand zurück. Komische Situation. Meine Kniescheibe kann sich gar nicht
mehr einkriegen.
Ist wie früher, als Zwergnase beim Elfmeterschießen. Atze,
schieß du. Was hab’ ich da leise immer vor mich hingesagt? Scheiße, wieso ich.
Wenn ich verschieße, bin ich der Sack der Woche. Andererseits: Wenn ich ihn
(Anmerkung: den Ball) versenke, dann bin ich John Wayne. Einfache Welt:
Verschießen – Sack, Versenken – John Wayne. Ich muß zugeben, ich war in dieser
Hinsicht meistens, um nicht zu sagen: immer, John Wayne. Wenn Sie verstehen,
was ich meine. Da gab es natürlich diese Ausnahme: das Hallenturnier bei
Tasmania 73. Ich kann Ihnen sagen, aber das erzähl’ ich Ihnen lieber ein
anderes Mal. Doch ich muß noch erwähnen, daß es so ziemlich das Geilste war, auf
Kunstrasen Fußball zu spielen. Und dann und wann, wenn es geregnet hatte und
das Wasser noch nicht vom Rasen abgelaufen war, seine Gegenspieler mit kleinen
Stromstößen gearscht zu haben. Ja, ja, so war die Zwergnasenzeit in Berlin
(West).
Zur
Erinnerung: Ich gab ihr, nennen wir sie doch Alabama, ich gab ihr also die Hand
zurück, und meine Kniescheibe hatte sehnlichst das Verlangen, aus meiner Haut
zu schlüpfen. Ich kann sie zwar verstehen, aber, hey, was soll’s, da hatte ich
irgendwie keinen Bock drauf. Oder hätten Sie das? Also, ein ehemaliger
Fußballkamerad, dem hat’s mal die Kniescheibe weggehauen. Sah nicht gut aus,
und zudem ein halbes Jahr so ’n Schweinegips, also ich weiß nicht. Wer drauf
steht, gut. Aber muß ich nicht haben. Masochismus – wissen wir aus Pulp Fiction
– soll ja was haben, aber ist auch Geschmackssache, sagte mein Großonkel. Ist
wahrscheinlich was dran.
Ich
bin wohl schon wieder abgeschweift, aber der erste Tag, der war schon
aufregend. Nachdem sich Alabama also wieder niederließ, zog ich es vor, meine
Kniescheibe in die Schranken zu weisen und mich zu setzen. Und da geht es schon
los, dieses Telefon, dieses neumodische. Und was seh’ ich? Ich sag’ nur:
Sommersprossen. Was soll’s, ich bin ja selbst marmoriert. Soll ich deshalb
Masochist werden? Ich glaub’ nicht, ich mein’, ich hab’ wahrscheinlich noch
nicht alles ausprobiert, aber verdammt, ich weich’ schon wieder ab. Mit
strahlendem Oberkiefer verläßt Alabama den Raum – nachdem mittlerweile einige
Telefonate in dieser kurzen Zeit geführt wurden –, um sich ein Fax abzuholen.
Toll, so muß Werbung sein. Da läßt sie mich also allein zurück, mit Blick auf
die Fischhallen. So ruhig plötzlich, angenehm ruhig. Wozu eine Frau – aber
sicherlich auch ein Mann – in der Lage ist, schon bemerkenswert. Oder besser:
Beneidenswert, was eine Frau alles am Telefon sagen kann. Ich wußte gar nicht,
daß es so viele Themen gibt, über die man sich unterhalten kann. Alle Achtung.
Irgendwann gibt es bestimmt das im Schädel implantierte Handy: das Head-Handy.
Und in 20 Jahren gibt es dann sicherlich Babys, die mit Handys im Schädel auf
die Welt kommen. Gesponsert von der Telekom. Das Motto wird wohl sein: „Handys
sind besser, als Sie denken.“ Man kann nur hoffen.
Schritte
nähern sich, aber nicht die Holzhammerschritte von Alabama. Davon kriegt ja
meine Kniescheibe schon vom Zuhören Muffensausen. Der CD ruft, und ab geht’s in
die Runde. 60 Hände schütteln, 60 strahlende Gebisse, 60 Namen, hinter denen
sich 60 Persönlichkeiten befinden. Oder besser: verbergen. Oh, wie philosophisch.
Irgend jemanden erkannt? Nur einen Namen und natürlich den Mann mit dem
bemerkenswerten Haar. Doch wo ist der Mann, der allwöchentlich in den
Fachgazetten erscheint? Woher soll ich das wissen? Ab in den heimischen Trakt,
ins Unterdeck, an die Ruder. Und dann Hände waschen.
Nachdem
ich mich die nächste Stunde damit beschäftigt hatte, alles Lesenswerte über den
Kunden zu erfahren, für den ich texten sollte, wurde auch schon die
Mittagspause eingeläutet. Mit den anderen Frischlingen ging es ins nahe
gelegene Bistro, um sich an Tiefkühlpizzen zu vergehen. Toll. Oder besser: geht
so.
Aus
der Mittags-AG zurück, und da liegt es auch schon: das erste Briefing. Kommt so
was vom Kunden? Direkt zum Obergeschäftsführer? Wohl nicht. Zumindest befaßt
der sich nicht damit. Der schiebt’s zum Geschäftsführer, der zum CD, CD zum
Texter, Texter zum Junior Texter. Zu mir, der Junior-Tüte. Das erinnert mich an
eine Aussage eines sexbesessenen Schauspielers in einem Film: Scheiße rollt
nach unten. Doch abwarten, vielleicht wird schon Großes erwartet. Was wird
gesucht? Eine Headline, die auf einer Bauplane plaziert werden soll, hinter der
sich eine Bank versteckt. Emsig mach’ ich mich auf die Suche.
Die
Zeit verrinnt, die Panik beginnt, der Schweiß strömt. Wo kommt eigentlich der
ganze Schweiß her? Bleib ruhig, Junge. Und laß dich nicht ständig von den
Frauen ablenken, die Vogelnester auf den Schädeln drapiert haben.
Weiter
im Text: Mir schwebt schon irgendwas vor mit Verhütung, Verhüllung. Doch wo ist
der Dreh? Ich hab’ s. Christo! Christo darf natürlich nicht fehlen. Eine
Headline für eine Bank, in der „Christo“ steht. Tja, so muß Werbung sein.
Denkste,
Puppe. Gnadenlos werden sie vom CD abgeschossen, mit einem Lächeln im Gesicht.
Zu Recht. So nah liegen Lust und Frust beieinander. Aber ist das fair? Meine
Oma sagte in solch einer Situation dann immer: „Junge, wenn du Fairneß willst,
geh in’n Turnverein.“ Was konnte ich dem denn schon entgegensetzen? Schließlich
hat man ja Respekt vor älteren Leuten. Trotz allem ein angenehmer Tag.
Mittlerweile
ist das erste Jahr fast rum, und hier und da hat man sich schon mal mit
„misgeleadeten“ Funkspots – in denen Papageien für Wirbel sorgen – und Lines,
wie „Relaxen statt hexen“ oder „Vom ADM zum Handyman“, der Lächerlichkeit
preisgegeben. Doch die Stimmung ist wie am ersten Tag: angenehm. Hey, so ist
Werbung.
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