Donnerstag, 20. Juni 2013

BARRY






Da denkt man an nichts Stimmungsvolles, und dann das: Seh ich doch ein Nummernschild, auf dem BARRY prangt.

Wie schon mal durchgekaut, durchlebte ich meine pubertären Jahre in der niedersächsischen Provinz (siehe HASEN, SKA, BOB und DAD). Nach dem denkwürdigen Umzug von West-Berlin in die Pampa freundete ich mich mit drei Klassenkameraden an. Wenn ich nicht Fußball, Basketball oder Tennis spielte, hing ich mit ihnen ab. Entweder cruisten wir mit Skateboards durch die Walachei oder beschossen uns mit Trockenerbsen (Pusterohre aus Papageienstäben). Spielten Tischtennis, Billard oder Skat, kegelten, angelten (außer meiner Wenigkeit, ich aß keinen Fisch) oder rangelten. Wir hatten kaum Haare am Sack, aber umso mehr Flausen im Kopf.

Einer von ihnen kam aus wohl reichem Hause – zumindest ließen das palastartige Refugium und die eindrucksvolle Wohngegend darauf schließen. Er hatte zwei ältere Schwestern und drei ältere Brüder – er war der Nesthaken. Bis auf eine fünf Jahre ältere Schwester waren alle schon aus dem Haus. Aus heutiger Sicht und mit verklärtem Blick würde ich sagen, sie sah aus wie Famke Janssen. Groß gewachsen, gertenschlank, schwarze Haare. Sie überragte uns um mindestens einen Kopf.

Als sie – nennen wir sie doch Bella – erfuhr, dass wir uns für die französischen Austauschschülerinnen aus Rennes interessierten, die in unserer Klasse weilten, wollte sie uns Nachhilfe geben. Jedem Einzelnen. Da ich den kürzesten Streichholz zog und die größte Klappe hatte, musste ich als Erster antreten. Die Jungs traten indes den Gang zum hauseigenen Swimmingpool an.

Bella war barfuß bis zum Hals. Nein, Wunschdenken. Sie trug eine verwaschene Röhrenjeans (keine Karotte, wie damals angesagt) und ein schwarzes, eng anliegendes T-Shirt. Und sie war barfuß. Halb zog sie mich, halb ging ich mit – in ihr Heiligstes. Es war größer als das ihres kleinen Bruders und hatte einen begehbaren Kleiderschrank. Mir schwante nichts Gutes und ich ahnte Böses, kurz: Ich hatte was im Urin. Quatsch mit Soße.

Ich bekam Schnappatmung, schließlich thronte auf dem Boden des Kleiderschranks ein Ghettoblaster der Spitzenklasse. Sie schloss den Kleiderschrank, hielt mir eine Kassette unter die Nase und sagte: „Kleiner, eine Frau ist wie eine Artischocke: Es braucht sehr viel Mühe, um zu ihrem Herzen zu gelangen. Wenn du das schaffst, hat sie sich auch entblättert.“ Ich nickte nur, denn ich war noch im Stadium des Träumens beziehungsweise im Schockzustand. Sie legte nach: „Damit kommst du an ihr Herz“, die Kassette ein und nahm Tuchfühlung mit mir auf.

BARRY White ließ den Kleiderschrank vibrieren mit „It’s Ecstasy When You Lay Down Next to Me“. Sie nannte es Engtanz, ich nannte es Schwitzkasten. Dann ließ es Bella richtig krachen und schickte weitere Kracher Barry Whites auf die Reise: „Can’t Get Enough of Your Love, Babe“, „You’re the First, the Last, My Everything“, „Let the Music Play“, „Never, Never Gonna Give Ya Up“ und „What Am I Gonna Do With You“. Es wurde buchstäblich eng. In jeder Hinsicht.

Hinsichtlich der Austauschschülerinnen Anette, Babette, Jeanette, Nanette und Suzette konnten wir leider keinen Stich landen. Nicht nett. Dafür machte Bella eine „bella figura“ zum knisternden Kleiderschrankkonzert von Barry White, dem Meister des Dosenöffnens, wie es mal jemand formulierte.

So viel Stimmungsvolles zu BARRY.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen