Da
denkt man an nichts Stimmungsvolles, und dann das: Seh ich doch ein Nummernschild, auf dem
BARRY prangt.
Wie schon mal durchgekaut, durchlebte
ich meine pubertären Jahre in der niedersächsischen Provinz (siehe HASEN, SKA,
BOB und DAD). Nach dem denkwürdigen Umzug von West-Berlin in die Pampa
freundete ich mich mit drei Klassenkameraden an. Wenn ich nicht Fußball,
Basketball oder Tennis spielte, hing ich mit ihnen ab. Entweder cruisten wir
mit Skateboards durch die Walachei oder beschossen uns mit Trockenerbsen (Pusterohre
aus Papageienstäben). Spielten Tischtennis, Billard oder Skat, kegelten,
angelten (außer meiner Wenigkeit, ich aß keinen Fisch) oder rangelten. Wir
hatten kaum Haare am Sack, aber umso mehr Flausen im Kopf.
Einer von ihnen kam aus wohl reichem
Hause – zumindest ließen das palastartige Refugium und die eindrucksvolle
Wohngegend darauf schließen. Er hatte zwei ältere Schwestern und drei ältere
Brüder – er war der Nesthaken. Bis auf eine fünf Jahre ältere Schwester waren
alle schon aus dem Haus. Aus heutiger Sicht und mit verklärtem Blick würde ich
sagen, sie sah aus wie Famke Janssen. Groß gewachsen, gertenschlank, schwarze
Haare. Sie überragte uns um mindestens einen Kopf.
Als sie – nennen wir sie doch Bella –
erfuhr, dass wir uns für die französischen Austauschschülerinnen aus Rennes
interessierten, die in unserer Klasse weilten, wollte sie uns Nachhilfe geben.
Jedem Einzelnen. Da ich den kürzesten Streichholz zog und die größte Klappe
hatte, musste ich als Erster antreten. Die Jungs traten indes den Gang zum
hauseigenen Swimmingpool an.
Bella war barfuß bis zum Hals. Nein,
Wunschdenken. Sie trug eine verwaschene Röhrenjeans (keine Karotte, wie damals
angesagt) und ein schwarzes, eng anliegendes T-Shirt. Und sie war barfuß. Halb zog
sie mich, halb ging ich mit – in ihr Heiligstes. Es war größer als das ihres
kleinen Bruders und hatte einen begehbaren Kleiderschrank. Mir schwante nichts
Gutes und ich ahnte Böses, kurz: Ich hatte was im Urin. Quatsch mit Soße.
Ich bekam Schnappatmung, schließlich
thronte auf dem Boden des Kleiderschranks ein Ghettoblaster der Spitzenklasse.
Sie schloss den Kleiderschrank, hielt mir eine Kassette unter die Nase und
sagte: „Kleiner, eine Frau ist wie eine Artischocke: Es braucht sehr viel Mühe,
um zu ihrem Herzen zu gelangen. Wenn du das schaffst, hat sie sich auch
entblättert.“ Ich nickte nur, denn ich war noch im Stadium des Träumens
beziehungsweise im Schockzustand. Sie legte nach: „Damit kommst du an ihr
Herz“, die Kassette ein und nahm Tuchfühlung mit mir auf.
BARRY White ließ den
Kleiderschrank vibrieren mit „It’s Ecstasy When You Lay Down Next to Me“. Sie nannte es Engtanz, ich nannte es
Schwitzkasten. Dann ließ es Bella richtig krachen und schickte weitere Kracher Barry
Whites auf die Reise: „Can’t Get Enough of Your Love, Babe“, „You’re the First, the Last, My Everything“, „Let the Music Play“, „Never, Never Gonna Give Ya Up“
und „What Am I Gonna Do With You“. Es wurde buchstäblich eng. In jeder
Hinsicht.
Hinsichtlich der
Austauschschülerinnen Anette, Babette, Jeanette, Nanette und Suzette konnten
wir leider keinen Stich landen. Nicht nett. Dafür machte Bella eine „bella figura“
zum knisternden Kleiderschrankkonzert von Barry White, dem Meister des
Dosenöffnens, wie es mal jemand formulierte.
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